Hier muß noch was getan werden. Wo der Künstler ist, liegen die Wunden offen. Auch hier sind die Räume lange nicht bewohnbar. Die komfortable Badewanne steht im Flur, verstellt ein wenig den Weg und wartet noch auf seine eigentliche Bestimmung. Doch wie lange wird das noch so gehen? Die Baustelle wirkt sehr aufgeräumt und “unstaubig”. Sorgfältig in Wartestellung versetzt, so als müsse noch etwas Zeit vergehen, bis die Wohnung wieder bezugsfertig wird. Das System Villa, wie es sich in seiner großbürgerlichen Pracht hier in seiner Auslaufrille zeigt, ist hier nur noch brüchiges Fragment, Patchwork. Drei Etagen in großzügigstem Zuschnitt sind für familiäre Zwecke heute kaum noch praktikabel zu nutzen.
Das hier ist eine Galerie, mit privater Etage im 1.OG. Repräsentative Geschäfts- und Repräsentationsfläche liegt im Hochparterre. Hier ist die Ausstellung von Ralf Berger, der eine sehr interessante Kombination vergangener Aktionen in den Räumen verteilt hat. Dokumente vergangener Performances, Filme von Aktionen, Videos im Echtzeitformat, die immer an die Grenze des körperlich Machbaren gehen.
Bergers Performances, Aktionen und Diktionen als ‘Living Sculpture’ sind immer als Grenzerfahrung der eigenen Person angelegt. Ein Dreikanal-Video zeigt in epischer Breite, wie eine Zunge das gesamte Inventar einer Galerie bis in ihre hygienisch prekärsten Zonen beleckt. Es sind die Räume des ehemaligen Galeristen, die von Berger solcherart vermessen wurden. Doch sind es nicht die sachlichen Informationen zum Video, das diese geradezu übertrieben devote Geste in ihr perfides Gegenteil verkehrt. Das Verhältnis zwischen Künstler und Galerist gilt im Allgemeinen und traditionell als besonders, als schwierig, als heikel, als prekär und bisweilen sogar als explosiv. Dieser besonderen Geschäftsbeziehung hat Berger mit “Touch Me, I’m Sick” ein wirkmächtiges Denkmal gesetzt, das die Frage nach Gut und Böse sehr schwankend offen lässt, so als wäre man in einer Nußschale auf hoher See unterwegs.
Ein kompakteres Werk jüngsten Datums nimmt die behagliche Atmosphäre der Bibliothek dieser Krefelder Galerie in Beschlag. Berger entwickelt einen kuriosen Dialog zwischen sich und dem Zuschauer, Besucher, Konsumenten, Partizipatoren. Der Künstler hat sich einen Block Eis auf den Kopf legt und sich in Paßfotoansicht so lange gefilmt, bis das Eis komplett geschmolzen ist. Der Monitor begegnet uns auf Augenhöhe, gesockelt auf einem Eisschrank(!). Diese Arbeit ‘unter vier Augen’ zwischen mir und dem laufenden Bild wird zu einem abstrusen Zwei-Personen-Stück: Ich beim Beobachten eines Anderen, der mit der Zeit schon darunter leidet, was er selbst initiiert hat. Der Kopf wird kalt, man sieht dem Gesicht den Schmerz an, aber um das verfolgen zu können nimmt der Künstler den Schmerz auf sich. Heroisch, nicht wahr?
Nicht ganz, aber beindruckend konsequent führt der Künstler bis zur schmerzhaften Erschöpfung vor, wie dekadent und surreal in der heutigen Kunstindustrie die Beziehung zwischen Publikum und Künstler eigentlich geworden ist. Spätrömische Verhältnisse eben, die extreme Selbstäußerungen notwendig werden lassen, um ein Minimum an Reaktionen zu verursachen. Sonst wird man im Circus Maximus überhaupt nicht mehr als Mitspieler registriert.
Berger vermißt und kartographiert hier seine eigene Basis als Künstler. Nichts ist dafür besser geeignet als eine Galerie, die nicht nur kommerzielle Struktur liefert, sondern auch ideellen Freiraum läßt. Das schafft im Idealfall Zusammenhang. Wie hier, denn die Vermessung der eigenen Basis setzt Berger mit einem Video fort, das die “Begehung” der Außenwände mit verbundenen Augen zeigt. Bergers tastender Rundgang um die Villa vollzog sich nicht auf solch schwindelder Höhe wie man vermuten könnte, aber das riskante Unterfangen einer erneuten Annäherung und abermaliges vertraut werden müssen mit dem Terrain Galerie sieht hier sehr nach gefährlichem Spiel aus, nach Drahtseilakt. Vielleicht bedeutet es aber auch nur das genaueste Inspizieren eines Schauplatzes, der für eine kommende Aktion penibel unter die Lupe genommen werden muß, um nach rückhaltloser Aufklärung der Präsentationsbedingungen dieses Gebäudes und seines Terroirs für geeignet erklärt werden kann.
Geeignet für was? Geeignet für eine saubere Geschäftsbeziehung? Das auch, aber vor Allem scheint hier jeder Mauervorsprung auf seine faktische und metaphorische Verläßlichkeit abgeklopft worden zu sein, um einer Performance eine verläßliche Umgebung zu geben. Diese Performance fand am Abend der Eröffnung im Dachgeschoß der Villa statt. Die Verknüpfung zur Ausstellung lieferte ein simultanes Monitorbild von einer dunklen und obskur wirkenden Zusammenkunft sowie ein gelbes Übertragungskabel, das den Weg vom vermittelten Bild des Monitors hin zum wirklichen Schauplatz der Performance im Rohbau des Obergeschosses zeigte.
Dort oben war ein Raum durch einen schwarzen Vorhang wie für die eigentliche Bühne abgeteilt. Dahinter passierte eigentlich nichts im Sinne von Handlung, aber bildnerisch war diese Situation von außerordentlicher Fülle, Prägnanz und Sättigung. Im Dunkeln erkennt man nur schemenhaft. Ein Mensch hängt von der Decke, bekleidet mit einer Montur, die an Froschmann, Gummifetischist und Kanalarbeiter gleichzeitig denken läßt. Es ist ein Mann. Er regt sich nicht. Die ganze Zeit, kein Mucks. Um den Kopf gewickelt ist eine Vorkehrung, eine Art Maulkorb – wie aus “Schweigen der Lämmer” nur mit Lampe dran. Die Lampe wirkt wie jemandem zu tief ins Maul gestopft. Kabel hängen herab. Mit der Zeit sieht man besser im Dunkeln und die Szene klärt sich. Die Lampe ist um die Stirn gewickelt. Eine Kamera ist vor den Mund gebunden und übermittelt das laufende Bild in die Galerie nach unten. Der Mann bewegt sich in seiner Aufhängung die ganze Zeit kein bißchen. Regungslos registriert und zeichnet er mit seinen Intrumenten auf, was sich im Raum abspielt. Wie tot, für etwa drei Stunden – danach ließ sich Ralf Berger aus seiner Hängung befreien. Beklemmend deutlich bleibt das Bild vom Künstler aber immer noch da hängen.