WILHELM MUNDT

Für eine Konsumgesellschaft ist zweifellos der Produktkreislauf von Herstellung, Distribution und Verbrauch der prägende circulus vitiosus. Nicht häufig greifen Künstler diesen bestimmenden Aspekt unseres Lebens auf, um daraus ihre Arbeit abzuleiten. Wilhelm Mundt ist jedoch an einer Kunst interessiert, die nicht der eigenen Intuition nachjagt, sondern nach wirklichen Veranlassungen sucht. Also entwickelte er einen Produktionsmechanismus, der die Struktur einer industriellen Herstellungsweise aufgreift, ohne allerdings tatsächlich funktionale Dinge zu produzieren. Augenfälliges Merkmal seiner skulpturalen Konzeption ist die Serialität.

Schon die frühe Skulptur Bastard 85, die in zehnfacher Ausfertigung als Bausatz aus industriell gefertigten Elementen zusammengesteckt ist, birgt die strenge innere Logik, nach der sich sein Werk bis heute entwickelt hat. Samt beigelieferter Bauanleitung konterkariert diese Arbeit als Do-it-yourself-Skulptur in seiner Absurdität nicht nur die ziemlich überzeichnete Situation einer gegenwärtigen Konsumgesellschaft, sondern auch noch den Mythos künstlerischer Genialität. Aus dieser vorgetäuscht, fehlgeleiteten Produktreihe erweitert Mundt sein konzeptuelles System von der künstlerischen Simulation einer rationellen Produktion. Die Idee, ein Stecksystem zu entwickeln, um daraus im Volumen variable Skulpturen zusammenzusetzen, leitet sich letzlich aus dem Bauprinzip der Bastarde ab. Nur hatte Mundt nun die Absicht, einen Baustein zu erfinden, ähnlich einer Transportpalette, der durch seine Form eine vielseitige Verwendung ermöglichte, aber als solcher eigentlich unnütz ist. Es sollte ein Grundelement her, das wie ein Modul einfach zusammengesteckt wird, um je nach Erfordernissen für eine Ausstellung Skulpturen von unterschiedlicher Dimension aufzustellen. Zunächst waren die Module noch einzeln gebaut und in ziemlich aufwendiger Weise zu einer großen Form kombiniert, die an eine Röhre oder riesige Mutter erinnert. Wilhelm Mundt rationalisierte aber das Verfahren und fertigte Gußformen, um die Module künftig einfacher und aus Polyurethanschaum seriell herstellen zu können. Ungefähr fünf- bis sechhundert dieser multiplen Objekte sind in drei Variationen gegossen worden.

Neben dem daraus resultierende Modulsystem (z.B. 3. Volumen 6 B1/ 6 B2 oder Schwarzes Magazin), das in verschiedenen Varianten über die Jahre ausgestellt wurde, ist auch eine Menge Müll angefallen – mißglückte Abgüsse, Verschnitt, Reste, Dosen, Behälter und diverser Atelierschrott. Mundt hat davon nichts weggeworfen, sondern abgewartet, bis ihm für den Abfall eine sinnvolle Möglichkeit der Verwendung einfiel. Vielleicht überkam ihn ein mulmiges Gefühl, als Künstler diesen Berg von Sondermüll zur Verbrennungsanlage zu bringen, jedenfalls zeigt es, daß er sich darüber bewußt ist, daß nichts wirklich weg ist, wenn man es nur weggeworfen hat. Der Schrott verschwindet zwar aus dem subjektiven Horizont, türmt sich aber im kollektiven Bewußtsein zu einem vorhandenen Etwas, bis sich die schiere Menge zu einer neuen Qualität, einem handfesten Problem ausgewachsen hat. Für Mundt war die Lösung innerhalb seines Systems von Simulation industrieller Herstellungsweisen und ihrer fortschreitenden Rationalisierung ebenso logisch wie zwingend einfach.

Der Haufen von Resten bildete das Ausgangsmaterial für eine neue Werkgruppe, die Trashstones. Ohne den Anlaß für eine neuerliche Kunstproduktion suchen und erfinden zu müssen, ergab sich gewissermaßen die Notwendigkeit, den eigenen Ausstoß für neue Kunstwerke zu benutzen. Diese Ressourcen sind natürlich begrenzt, weil die Arbeit an den Modulen mittlerweile abgeschlossen ist und damit sich der Nachschub zum Ende neigt. Auch wenn Mundt nicht so puristisch ist, ausschließlich Atelierabfälle für die Trashstones mit Klebeband zu einem Bündel zu formen, der Vorrat an Arbeitsmaterial dafür braucht sich auf, bis sich irgendwann die künstlerische Produktion, einer Implosion gleich, aus sich selbst heraus weggearbeitet hat. Fragt man sich, ob seine Kunst damit zu einem natürlichen Ende gekommen sei, hält Mundt die Weiterentwicklung schon wieder parat.

Die Phase, als die sogenannten Produktionsrückstände mit einem glatt geschliffenen Polyestermantel von fleckiger Farbigkeit umgeben wurden, zu amorphen Steinen von beinahe anonymer Handschrift wurden, sich also die Form einer solchen Skulptur nicht aus künstlerischer Erfindungsgabe, sondern rein aus der willkürlichen Dimension der Abfälle herleitete, wird mittlerweile von etwas abgewandelten Objekten begleitet. Mundt hat den Steinen eine individuelle Note angefügt, einen weißen Zapfen, der wie ein erigierter Stengel aus der biomorphen Ebenmäßigkeit ragt. Es ist ein mit Knetgummi umgebener Edding-Sift, der wie ein Vampirkeil eingetrieben scheint, aber doch nur wie ein Saugdödel angedockt ist. Im Atelierjargon heißt diese Variante „Fickdrüse“, wirft aber im Ausstellungsbetrieb die Frage auf, What happened to the Crudetrash ? Implodiert oder explodiert? Auch wenn sich manche Werkgruppe durch ihre Konzeption mit der Zeit von selbst wegrationalisiert, Müll im allgemeinen mag sich verflüchtigen, Mundts trashy somethings werden sich weiterhin zu einer Art Supermaterie verdichten

Martin Bochynek